Autor: Doro

Musikalischer Maskenspieler

Interview mit Philippe Jaroussky

crescendo / Februar 2019

Philippe Jaroussky hat sich mit seiner warmen Countertenor-Stimme ganz nach oben gesungen. Auf seinem neuen Album widmet sich der 41-jährige Künstler nun dem italienischen Frühbarock-Komponisten Francesco Cavalli und fasziniert mit einer aufregenden musikalischen Maskerade. Ein Gespräch über den kreativen Klangschöpfer, neue Formen der Männlichkeit und den Karneval in Venedig.

Sie haben das Fach des Countertenors einmal als neue Form der Männlichkeit bezeichnet. Was meinen Sie damit?

Ich glaube tatsächlich, dass der Countertenor für eine neue Form steht – oder besser gesagt für eine neue alte Form. (lacht) Die Einteilung der Stimmen in die weiblichen und die männlichen Fächer entspringt der romantischen Kategorisierung. Die Kastratenstimme stach dabei immer als besondere Art von Stimme hervor. Allerdings haben die Kastraten durchaus auch sehr starke Charaktere interpretiert. Sie hatten zwar hohe Stimmen, aber das hat nicht bedeutet, dass sie nicht auch männliche Parts übernommen hätten. Es ist sicher kein Zufall, dass nach Ende des 2. Weltkriegs auf einmal die Countertenöre wieder eine Rolle spielten. Der Krieg war so furchtbar gewesen, dass die Menschen diese starren Rollenbilder des Mannes, der in den Krieg zieht, und der Frau, die sich zuhause um die Kinder kümmert, nicht mehr wollten. Die Wiederentdeckung des Countertenors und überhaupt der hohen Stimmen in der Musik, war ein Weg zu sagen: Auch Frauen können stark sein und Männer dürfen ihre sensible Seite zeigen. Ein Mann kann weinen und eine Frau kann kämpfen...

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Der Puppenspieler

Der isländische Pianist Vikingur Olafsson entdeckt in Johann Sebastian Bach einen Zeitgenossen

CICERO / Dezember 2018

Eine endgültige Antwort gibt es nicht, das ist die einzige Gewissheit „Wenn jemand meint, bei Bach eine Lösung gefunden zu haben, dann liegt er ziemlich sicher falsch“, sagt der isländische Pianist Víkingur Ólafsson. Stattdessen seien da einzig „ganz wunderbare Fragen, die man stellen kann“, immer wieder neu und immer wieder anders.

Ólafsson ist einer der interessantesten Fragensteller der jungen Pianistengeneration und wartet in diesem Jahr mit gleich zwei Bach-Alben auf, einmal einem Konzeptalbum mit verschiedenen Originalen und Transkriptionen, einmal einer Zusammenstellung von Reworks. Im Alter von 34 Jahren gibt er damit ein bemerkenswertes Statement ab und entbehrt doch jeglicher Hybris.
Johann Sebastian Bach ist für den großen schmalen Mann mit den dunkelblonden Haaren und der schwarz umrandeten Brille ein enger Lebensbegleiter. Immer wieder aufs Neue hat er sich mit seiner Musik „von höchstem Anspruch und größter Tiefe“ auseinandergesetzt, diesem „Universum des Klangs und der Kontrapunktik“. Seine ersten musikalischen Erfahrungen machte Ólafsson schon pränatal...

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Frau Bürgermeisterin – das hat Seltenheitswert!

In Deutschlands Kommunalparlamenten gibt es extrem wenig Frauen. Nicht einmal jeder zehnte Bürgermeisterposten ist mit einer Frau besetzt. Woran liegt das? Und vor allem: Was können Parteien und Kommunen vor Ort aktiv tun, um die Frauenquote zu erhöhen?

KOMMUNAL / November 2018

Es war ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Demokratie: Seit 100 Jahren dürfen Frauen wählen und können gewählt werden. Seither ist viel passiert und die Gleichberechtigung scheint längst selbstverständlich. Einerseits. Andererseits zeigen die Zahlen nach wie vor einen enormen Nachholbedarf an. So sind auf Bundesebene gerade einmal ein Drittel der Abgeordneten im Bundestag weiblich, auf Kommunalebene sieht es noch schlechter aus. Nur etwa jedes zehnte Bürgermeisteramt ist mit einer Frau besetzt und auch in den Gemeinderäten sitzen meist deutlich mehr Männer als Frauen.
Begibt man sich auf die Suche nach den Gründen für diese Schieflage und spricht man mit Frauen, die es in kommunalpolitische Führungspositionen geschafft haben, so zeigt sich ein komplexes Bild.
„Frauen wägen oft mehr ab, trauen sich weniger zu und sind tendenziell skrupulöser“...

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Reines Konzentrat der Musik

Der russische Pianist Grigory Sokolov führt das Publikum in Passau an emotionale Grenzen

PNP / Juli 2018

Womöglich erwächst der Zauber der Musik gar nicht so sehr aus den Tönen selbst, sondern aus jenem geheimnisvollen Raum dazwischen. Der russische Pianist Grigory Sokolov ist ein Meister darin, diese Beziehung zwischen den einzelnen Noten zu gestalten und das pure, reine Konzentrat der Musik mit kompromissloser Ernsthaftigkeit in seinem Spiel freizulegen. Am Sonntagabend war er im Rahmen der Europäischen Wochen in Passau zu Gast und verwandelte den ausverkauften großen Rathaussaal für fesselnde zweieinhalb Stunden in eine Pilgerstätte höchster Konzentration...

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Mutter auf Zeit gesucht

Immer häufiger nimmt das Jugendamt Kinder in Obhut. Pflegefamilien werden dringend gesucht. Hier finden Kinder familiäre Strukturen und Kommunen zahlen weniger als für einen Pflegeheimplatz.

KOMMUNAL / Juni 2018

Bei Familie Scheuerer in Ruderting ist die Welt noch in Ordnung. An den Wänden hängen Familienfotos und bunte Kinderbilder, im Garten warten Trampolin und Sandkasten auf ihren Einsatz. Seit einer guten Woche lebt hier auch die kleine Alena (Name von der Redaktion geändert), ein lebhaftes, neugieriges Mädchen mit Pferdeschwanz und keckem Blick, das gerade auf den Schoß von Alexandra Scheuerer klettert und seiner Mama auf Zeit einen dicken Kuss auf die Wange drückt. „Alena ist sehr liebebedürftig“, wird Alexandra Scheuerer später mit einem Lächeln sagen. In dem gemütlichen Haus in Ruderting bekommt die Fünfjährige Liebe und Halt, hier erfährt sie sichere Strukturen und klare Regeln und hat darüber hinaus zwei große Schwestern und einen großen Bruder als Spielgefährten.

Familien wie die Scheuerers sind für Kommunen ein kostbares Gut. Als Pflegefamilien bieten sie Kindern, deren Eltern nicht für sie sorgen können, wollen oder dürfen, ein neues Zuhause und den Zusammenhalt einer Familie...

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Die Hörmeisterin

Seit ihrem zwölften Lebensjahr ist Evelyn Glennie nahezu taub. Dennoch hört kaum jemand intensiver als die schottische Schlagzeugerin – mit ihrem gesamten Körper!

crescendo / Januar 2018

Absolute Stille gibt es nicht, davon ist Evelyn Glennie überzeugt. Die Welt ist für Glennie stattdessen ein Kosmos an Vibrationen, der wummert und raunt, zittert und bebt. Am liebsten wäre es der schottischen Schlagzeugerin, dieser Text würde ausschließlich ihre Musik behandeln: ihr meisterhaftes Spiel mit den Percussion-Instrumenten, das einem mit seiner schwirrenden Virtuosität den Atem raubt, oder jene magischen Momente, in denen die Marimba unter ihren wirbelnden Händen zu singen beginnt. Aber ein Artikel ausschließlich über ihre Musik wäre zu kurz gegriffen. Denn Evelyn Glennie ist seit ihrer Jugend weitgehend taub und ihre Biografie nicht nur die Geschichte einer herausragenden Musikerin, sondern auch eine faszinierende Studie darüber, was „Hören“ bedeutet...

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Gipfeltreffen zweier Legenden – Evgeny Kissin erobert Beethovens solistisches Klavierwerk

Beethovens Musik ist für ihn wie eine Psychotherapie. Klavier-Legende Evgeny Kissin hat mit 45 Jahren sein erstes Beethoven-Album eingespielt.

crescendo / August 2017

Manche Künstler erlangen schon zu Lebzeiten Legendenstatus. Evgeny Kissin gehört dazu. Wunderkind, introvertiertes Tastengenie, ein Ausnahmekünstler nicht ganz von dieser Welt – zahlreiche Mythen eilen dem russischen Pianisten voraus.

Nun hat sich Kissin einer anderen Legende angenommen und bringt – zum ersten Mal in seiner Karriere – ein umfangreiches Album mit Solo-Werken von Ludwig van Beethoven heraus. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, bereits als junger Überflieger mit diesen Stücken zu brillieren. Umso bemerkenswerter ist, wie lange sich der 45-Jährige Zeit gelassen hat mit dem komplexen Oeuvre des Komponisten und wie intensiv und selbstkritisch er sich bis heute damit auseinandersetzt.

„Als ausübende Musiker müssen wir versuchen, der Großartigkeit dieser Musik so nahe wie möglich zu kommen“, sagt Kissin an einem Sommertag in Prag und verschränkt demutsvoll die Hände ineinander. Der Musiker mit den weichen Gesichtszügen, den dunklen Locken und dem konzentrierten Blick scheint von einer Aura der Melancholie umgeben: Ein introvertierter Denker und kompromissloser Interpret, für den es keine Alternative gibt zur grenzgängerisch ernsthaften Auseinandersetzung mit der Musik...

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Den Schmerz verwandeln

Die armenische Pianistin Nareh Arghamanyan musste früh erwachsen werden. Heute ist Musik für sie Meditation und Medizin zugleich

CICERO / August 2017

Im Dezember 1988 bebte im Norden Armeniens rund um die Stadt Spitak minutenlang die Erde. Unzählige Häuser stürzten ein, ganze Stadtteile wurden verwüstet, mehr als 25.000 Menschen starben. Einen Monat später wurde im zwanzig Kilometer entfernten Wanadsor Nareh Arghamanyan geboren. Ein Säugling inmitten eines Meeres von Verzweiflung.

„In der Familie meines Vaters sind bei dem Erdbeben sieben Menschen ums Leben gekommen. Als ich kurz darauf auf die Welt kam, waren die Zeiten dunkel und in meiner Familie herrschte eine tiefe Traurigkeit“, erzählt die Pianistin in der Lobby eines Wiener Hotels und legt behutsam die Hände in den Schoß. Mit ihren 28 Jahren zählt die Musikerin mit den braunen langen Haaren und den markanten Gesichtszügen zur jungen Generation armenischer Künstler, die einem gebeutelten Land Hoffnung bringen und Perspektive. Aus ihren dunklen Augen und den Erzählungen ihres Lebens jedoch spricht die Reife und Melancholie einer Frau, die früh erwachsen werden musste...

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Ganz oder gar nicht

Das A-cappella-Sextett Singer Pur feiert seinen 25. Geburtstag

Fono Forum / Mai 2017

Die besten Ideen entstehen häufig bei Gesprächen zwischen Herd und Spülbecken. Auch bei Singer Pur war es eine Küche, in der die Erfolgsgeschichte des Ensembles ihren Anfang nahm. Anfang der 1990er Jahre trafen sich in Regensburg fünf junge Männer zum Frühstück. Alle waren sie bei den Regensburger Domspatzen gewesen, mittlerweile steckten sie im Studium oder Zivildienst. Ihr gemeinsamer Traum aber war die Gründung eines professionellen A cappella-Jazzensembles. Motiviert durch die Erfolge der King Singers und Take 6, beschlossen sie an diesem Morgen die Gründung von Singer Pur. „Ganz oder gar nicht“, lautete ihre Devise, halbe Sachen standen nicht zur Diskussion. Die Folge: Alle schmissen ihr Studium und machten Ernst. Täglich ab 9 Uhr wurde geprobt und Repertoire erarbeitet, parallel engagierten die Sänger einen Manager und stürzten sich in die Öffentlichkeitsarbeit. Sie schrieben Veranstalter an und kontaktierten Produzenten, noch vor dem ersten Konzert veröffentlichten sie ihr Debutalbum und hatten schon bald beachtlichen Erfolg...

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Klarinetten-Clan

Sie tun es alle: Papa und die zwei Brüder. Bei Ottensamers aus Wien greift jeder zum geschmeidigen Rohrblattinstrument. Und das, obwohl oder gerade weil es in der Familie auch etwas anderes gibt als die Musik.

crescendo / März 2017

Was man in die Wiege gelegt bekommt, ist Schicksal. Was man daraus macht, eine Frage von Talent und einer Portion Glück. Bei Andreas Ottensamer ist diese Mixtur vollendet aufgegangen. Mit seinen 27 Jahren ist der agile Klarinettist längst im Olymp der Klassikszene angekommen und hat es darüber hinaus geschafft, gleich in verschiedenen Bereichen parallel Karriere zu machen. Seit März 2011 ist er Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker, außerdem tourt er als Solist durch die Welt und schätzt das Musizieren in hochkarätig besetzten Kammermusik-Ensembles.

Ein Tag Anfang Februar in Wien. Andreas Ottensamer ist hier aufgewachsen und kehrt regelmäßig in seine alte Heimat zurück. Der hochgewachsene junge Mann mit den dunklen Haaren, den glatten Gesichtszügen und dem athletischen Gestus kommt knapp, eilt durch die verwinkelten Gänge des Künstlertrakts des Wiener Konzerthauses und lässt sich schließlich auf ein Sofa in der Kantine fallen. Seinem Aussehen nach könnte er Profisportler sein, Model oder beides gleichzeitig, im wahren Leben ist er einer der führenden Klarinettisten der Gegenwart. Am Vorabend hat er im Musikverein Mozarts Klarinettenkonzert interpretiert, heute stehen die Proben für die nächsten Konzerte an.

Nicht nur Andreas Ottensamer, auch seine gesamte Familie ist ein musikalisches Phänomen...

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