Kategorie: Allgemein

Unangestrengte Meisterschaft

Das Spiel von Kenny Werner vereint die Schwermut des traurigen Poeten mit der Dichte des kritischen Denkers. Auf seinem aktuellen Trioalbum „Melody“ zeigt sich der amerikanische Jazzpianist in Höchstform. Dorothea Walchshäusl stellt ihn im Porträt vor.

Fono Forum / August 2015

Die einen nennen es Jazz, die anderen nennen es Kunst. Kenny Werner selbst meidet beides. „Vermutlich bin ich so einer, ein Jazzmusiker“, sagt der amerikanische Pianist und lacht trocken. „Doch wenn ich über Musik als ‚Kunst‘ nachdenke, dann werde ich extrem uninspiriert“.

Der Grandseigneur des Jazzpiano wird in diesem Jahr 64 Jahre alt und wenn es etwas gibt, was er verabscheut, sind es hölzerne Definitionen und kleinkariertes Schubladendenken. Jazz ist für ihn nur „eine bestimmte Art der Improvisation“, kein stilistisches Dogma und für sich betrachtet ein ziemlich irrelevanter Begriff. Was für Werner viel mehr zählt, ist die innere und die damit einhergehende musikalische Freiheit – jener Bewusstseinszustand also, den Werner, der Pädagoge, in seinem viel bewunderten Buch „Effortless Mastery“, unangestrengte Meisterschaft, genannt hat. Vor fast zwanzig Jahren hat Kenny Werner dieses Werk veröffentlicht und bis heute trägt es bei unzähligen Workshops und Masterclasses Früchte. Wer es zur unangestrengten Meisterschaft gebracht hat, macht ebenso selbstverständlich Musik, wie er redet und schreibt, wie er läuft, wie er isst und wie er atmet. Kenny Werner selbst hat diese intuitive Präsenz in seinem Spiel zur Perfektion getrieben. Oft gleichen seine Darbietungen einem meditativen Strom, der alles beiläufig Störende außen vor lässt und sich in höchster Konzentration seinen Weg in die Herzen der Zuhörer bahnt. „Darum geht es vor allem“, sagt Kenny Werner: „Beim Spielen zu einem Zustand zu gelangen, in dem einem der Kopf nicht im Weg steht. Es geht darum, dass man ganz im Moment ist beim Spielen....

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Luft plus Liebe gleich Musik

Carolina Eyck ist die Königin des Theremins - eines elektronischen Instruments, das klingt und schwingt und surrt, ohne dass man es berührt. Hitchcock wäre stolz auf sie

CICERO / Salon / Juli 2015

Exotendasein kann anstrengend sein. All die Ohs und Ahs, die irritierten Blicke, die offenen Münder und jene Stimmen, die sich lieber nach der Gefährlichkeit von elektromagnetischen Feldern erkundigen als die Intensität der Interpretation zu bewundern. „Ich bin kein Freak“, sagt Carolina Eyck, dann zuckt sie die Achseln und steckt sich ein Stück Minzschokolade in den Mund. „Für mich ist das Theremin völlig normal und mich interessiert einfach nur die Musik, die man damit machen kann.“

Das musikalische Refugium von Carolina Eyck ist ein Wohnstudio in einer ehemaligen Spinnerei im Westen von Leipzig. Durch die Fenster fällt der Blick auf den Karl-Heine-Kanal, davor reckt eine mannshohe Kaktee ihre Arme in die Luft, von den beige gefliesten Wänden leuchten farbintensive Gemälde und auf dem Fußboden mümmelt ein frei herumlaufendes Kaninchen am Kohlblatt, während sich Kaninchen Nummer 2 geräuschvoll hinter den Löffeln kratzt...

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Antikörper sollst du bilden

Der Lyriker Reiner Kunze sammelt Dokumente seiner Verfolgung und Bespitzelung durch die DDR. Damit das Unrecht nicht verklärt wird, gründete er eine Stiftung

CICERO / Salon / Februar 2015

Wir treffen uns an jenem Freitagmorgen, an dem Bodo Ramelow in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt werden wird. Reiner Kunze hat schlecht geschlafen.

Die vergangenen Wochen hat der 81-jährige vor allem auf Autobahnen und Rednerbühnen zugebracht. Ein Zwischenstopp in Jena, in Leipzig, auf Rügen. Eingeladen wurde der Träger des Thüringer Verdienstordens, wer schließlich sprach, war der kritische und leise Mahner Kunze. Kein trotziger Drachenjäger, sondern einer, der den Drachen mit feiner Dichtung in die Knie zwingt.

Die Heimat des Dichters liegt seit mittlerweile 37 Jahren im kleinen Dorf Erlau nahe Passau am Ende einer Stichstraße steil am Hang. Neben dem Haus beginnt der Wald, im Tal schlängelt sich die Donau in Richtung Obernzell, noch hängt Nebel in der Luft. Reiner Kunze sitzt auf einem lindgrünen Samtsofa in seinem Wohnzimmer. Hinter ihm erstreckt sich die Bücherwand, an der Seite schweigt ein Klavier, die Füße versinken in weichem Teppichboden. „Grüner Tee?“ fragt seine Frau Elisabeth. „Ein dreifacher Cappuccino wäre mir heute lieber“, sagt Kunze und seufzt...

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Blau sind alle seine Klänge

Der griechische Dirigent und Dandy Teodor Currentzis erobert vom russischen Perm aus die Musikwelt. Mozart setzt er unter Starkstrom. Nun erhält er den Echo-Klassik-Preis

CICERO / Salon / Oktober 2014

Wäre Teodor Currentzis kein Romantiker, er wäre nicht hier. In dieser Stadt, in der noch Hammer und Sichel an den Hausmauern prangen. In der sich die Sonne in der vergilbten Verschalung tristesser Plattenbauten spiegelt. In der grobklotzige Sowjetkunst in den aschgrauen Himmel ragt und im Winter bei durchschnittlichen minus 15 Grad die Abgase in der Luft gefrieren. Bis 1991 war die russische Stadt Perm mit heute knapp einer Million Einwohnern eine verbotene Stadt für Ausländer, sie war Hochburg der Rüstungsindustrie und Heimat von Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow. Heute ist sie die Kulturmetropole im Ural und ihre künstlerische Leuchtgestalt heißt Teodor Currentzis.

“Ich bin eine sehr romantische Person, ich bin kein Technokrat”, sagt der Musikdirektor des Permer Opern- und Ballettheaters, nippt am schwarzen Tee und dreht sinnierend den großen Ring an seinem Finger. Sein ganzes Büro atmet den Geist postromantischen Schwärmertums...

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