Während die Solisten alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, werden Begleiter am Klavier oft nur im Nebensatz erwähnt. Dorothea Walchshäusl traf drei Pianisten, die das ganz anders sehen.
crescendo / Dezember 2014
Es war kurz nach einem Konzert. Zwei Stunden lang hatte Gerold Huber vorne auf der Bühne alles gegeben: Er hatte den Tasten des Flügels die feinsten Nuancen entlockt, er hatte die tiefenpsychologischen Zwischentöne in der Unterstimme herausgekitzelt und mit ungebremster Hingabe musikalische Dramen durchlitten. Lied um Lied ein Genuss, Standing Ovations, Zugabe. Wenige Minuten später: Huber begegnet einem der zahlreichen Gäste im Publikum und wird lange mit rätselndem Blick gemustert. Dann fragend der Gast: „Also irgendwo habe ich Sie ja schon einmal gesehen… kennen wir uns?“
Gerold Huber lacht schallend, wenn er diese Geschichte erzählt, er liebt das Understatement und noch mehr liebt er seinen Beruf. Der Straubinger ist klassischer Konzertpianist, die meiste Zeit seines Schaffens jedoch arbeitet er als Klavierbegleiter. Ebenso wie der Weimarer Daniel Heide und der Wiener Christoph Berner ist er damit Angehöriger eines Berufszweigs, der in der Musikszene, chronisch unterschätzt, nicht selten ein Schattendasein in zweiter Reihe fristet. Klavierbegleiter? Das sind doch diese schlicht gekleideten Musiker am Flügel links außen. Pianisten zweiten Ranges ohne denkwürdigen Namen, im besten Falle unauffällige und unterwürfige Diener der strahlenden Sangesdiva im Rampenlicht – soweit zumindest das Klischee.
Die Wirklichkeit auf und hinter dem Konzertpodium sieht anders aus, und konfrontiert man Heide, Huber oder Berner mit ihrem angeblichen Schattendasein, erntet man allenfalls ein mitfühlendes Schmunzeln. Schattendasein? Das war einmal, in früheren Zeiten, in denen in Konzertkritiken häufig „nur der Sänger erwähnt wurde und man gar nicht wusste, wer Klavier gespielt hat“, wie Huber berichtet. Freilich kennen sie alle auch heute noch die Situation nach dem Konzert, in der nur der Sänger um ein Autogramm gebeten wird, während sie als daneben stehende Pianisten geflissentlich ignoriert werden. Und doch sind derartige Szenen seltener geworden und beobachten Huber und Kollegen eine deutlich positive Wandlung der Sichtweise auf den Klavierbegleiter in der Öffentlichkeit.
Die Klavierbegleiter selbst erleben die eigene Rolle ohnehin vollkommen anders. Als Begleiter sind sie nicht nur versierte Pianisten, vielmehr sind sie hypersensible Zuhörer, herausfordernde Gegenspieler und vertrauensvolle Stützen ihrer musikalischen Partner auf der Bühne. Sie sind brillante Solisten in den Vor-, Zwischen- und Nachspielen, dramatische Erzähler der im Instrumentalpart schlummernden Geschichten, sie sind ironisch verfremdende Kommentatoren und zärtlich umwerbende Verehrer.
Ob Daniel Heide, der in Weimar mit dem „Lyrischen Salon“ eine Konzertreihe mit Liederabenden ins Leben gerufen hat, ob Christoph Berner, der seit Langem u. a. mit dem Sänger Werner Güra zusammenarbeitet, ob Gerold Huber, der der feste Klavierpartner des Baritons Christian Gerhaher ist: Alle sind sie auch solistisch erfolgreich unterwegs, die Arbeit als Klavierbegleiter jedoch beglückt sie ganz besonders. Bei allen dreien begann die Faszination für ein Miteinander neben dem pianistischen Einzelkämpfertum in der Jugend. Daniel Heide begleitete seine Mutter, eine Chansonsängerin, und verfiel der Arbeit mit dem Text. Gerold Huber wurde zusammen mit seinem Freund Christian Gerhaher von Schumanns Dichterliebe verführt. Und auch Christoph Berner erkannte früh für sich: „Musik kann nicht nur das alleinige Am-Klavier-Sitzen sein. Musik hat mit Kommunikation zu tun.“
„Es ist kein Problem, wenn der Solist am Ende den größeren Blumenstrauß bekommt.“
Der Klavierbegleiter, so wie ihn Heide, Berner und Huber definieren, sinniert, ringt und arbeitet im stetigen, zumeist ebenbürtigen Dialog mit seinem musikalischen Partner. Im schönsten Falle verbindet die Musiker dabei nicht nur eine professionelle Zusammenarbeit, sondern ein enge, vertrauensvolle Freundschaft – die Voraussetzung für ein wirklich intensives Konzerterlebnis. „Damit etwas Tiefes auf der Bühne passiert, muss man den anderen an sich heranlassen, sich kennen und sich vertrauen“, so Berner. Man trägt und stützt sich in Stresssituationen, harrt gemeinsam an Flughäfen aus und wartet gemeinsam auf verspätete Züge und Klavierstimmer. „Den größten Teil des Konzertlebens sitzt man in Wartehallen herum. Da ist es schön, wenn man zu zweit ist“, sagt Daniel Heide schlicht, und nicht zuletzt ist es diese soziale Komponente, die er am Klavierbegleiter-Dasein schätzt. Dass man nicht alleine kämpft, verleiht Kraft – nicht nur in Wartehallen, sondern auch vor Publikum. „Als Solist ist man sehr alleine auf der Bühne. Es kostet enorme Energie, um da eine starke Bühnenpräsenz zu schaffen“, sagt Gerold Huber. Ist man allerdings in der Begleiterrolle, stetig wechselnd zwischen solistischen und zurückgenommenen Parts, kann man sich um einiges entspannter und konzentrierter dem musikalischen Kern widmen. Gerade bei der Liedbegleitung dringen Heide, Berner und Huber dabei mitunter in tiefste Schichten vor. „Mich hat diese zweite Ebene des Musizierens mit Text schon immer fasziniert, und bis heute ist es so geblieben“, sagt Heide, und Berner erzählt: „Man versucht, aus jedem Text, aus jedem Stück das Minidrama herauszuarbeiten.“ Wer bei der musikalischen Deutung des Dramas das Sagen hat, ist je nach Gegenüber verschieden. Für Gerold Huber gibt es „solche und solche Sänger – die einen wünschen viel Input, die anderen haben wiederum sehr genaue Vorstellungen.“ Beides ist für Huber in Ordnung: „Ich bin da flexibel.“ Für jemanden wie Christoph Berner ist die Gleichberechtigung da noch entscheidender, auch wenn er zugibt, dass man für ein glückliches Dasein als Begleiter durchaus ein bestimmter Typ sein sollte. „Wenn man ein Problem damit hat, ab und zu zurückzustecken, ist man in diesem Beruf falsch.“
Für Daniel Heide, Christoph Berner und Gerold Huber ist es kein Thema, wenn der Solist am Ende den größeren Blumenstrauß bekommt. „Es geht um den gemeinschaftlichen Erfolg“, meint Heide nur, „und wenn der Solist besonders glänzt, dann freut mich das ja auch.“ Außerdem hat das Leben in zweiter Reihe so manches Mal auch seine Vorteile. Für die Nerven zum Beispiel: „Ich weiß, was ein Sänger durchmacht, da vorne, frontal vorm Publikum.“ Das sei ein viel größerer Stress als die Rolle am Flügel, so Huber. Oder auch für die finanzielle Absicherung: So kann ein Pianist im Gegensatz zum angepriesenen Solisten zum Beispiel mehrmals im Jahr als Liedbegleiter bei einem Festival engagiert werden, ohne dass sich jemand daran stört.
Nicht zuletzt gibt es laut Daniel Heide aber noch einen weiteren Reiz – die Freude an der stillen Größe, die dann betört, wenn der Klavierbegleiter den Laden im Zweifelsfall zusammenhält. Wo auch immer der Solist schwankt und improvisierend überrascht: der Klavierbegleiter reagiert blind, gleicht aus, umspielt und glättet. Wenn dann nach dem Konzert die Zuhörer heranstürmen und rufen: „Was für ein großartiger Abend. Und wie Sie beiden zusammen waren – einfach perfekt!“ Dann denkt sich Heide leise lächelnd: „Ja, wir waren perfekt zusammen. Und ich weiß auch genau, warum.“