Der 92-jährige Pianist Menahem Pressler glaubt an eine bessere Welt
CICERO / Juli 2016
Die Besinnung auf die „Schönheit“ ist in Zeiten des Terrors und politischer Umbrüche nicht gerade en vogue. Viel eher werden kühler Intellekt gefordert und eine abgeklärte Beurteilung des status quo. Parallel zu jener Großwetterlage ist mit „Dieses Verlangen nach Schönheit. Gespräche über Musik“ nun ein Buch erschienen, das diesen scheinbaren Gegensatz mühelos aufhebt und kluge Analyse mit kindlicher Lebensfreude und starker Emotion vereint. Verkörpert wird diese ungewöhnliche Verbindung durch den Pianisten Menahem Pressler, der in Gesprächen mit dem Professor für Musik und Musikjournalismus Holger Noltze über sein Leben und die Musik reflektiert.
Schönheit. Dankbarkeit. Glück. Pressler wählt große Worte, um zu beschreiben, was ihm die Musik von Beginn an bedeutet hat und bis zum heutigen Tage schenkt. Als „zu schön, um wahr zu sein“ habe er manche Stücke empfunden, und derart intensiv, „dass das Herz überläuft“. Aus anderem Munde würde man diese Rhetorik als Kitsch oder Pathos empfinden. Bei Pressler jedoch berührt sie als intensiv erlebte und hart errungene Gewissheit eines Menschen, der mit seiner Biographie, seiner musikalischen Karriere und nicht zuletzt mit seinem Alter von mittlerweile 92 Jahren ein bewundernswertes Phänomen darstellt. Über 50 Jahre lang war Pressler die tragende Konstante des Beaux Arts Trio, etablierte mit seinen Kollegen die Kammermusik auf den Konzertpodien und schuf legendäre Referenzeinspielungen. Bis heute ist er als Solist aktiv und offenbart in seinem Spiel eine unmittelbare Musikalität.
Spricht Pressler über Musik, so redet ein immer noch innig Verliebter nach über 70 Jahren schöpferischer Ehe. Seine Worte scheinen von innen heraus zu leuchten, zeugen von feinem Humor, wacher Selbstbeobachtung und der besonderen Gabe, sich allen Schattenseiten des irdischen Daseins zum Trotz ganz und gar der Schönheit hingeben und aus ihr Lebenskraft schöpfen zu können. Pressler, der als Kind mit seiner Familie nach Israel fliehen musste und von dem zahlreiche Verwandte im Holocaust umgebracht wurden, zeigt sich als Inbegriff der Resilienz. „Die Angst kam nicht in die Nähe des Klaviers. Da gab es keine Angst. Da gab es wirklich nur das Suchen nach Schönheit.“ Die „Schönheit“ selbst ist für Pressler weit mehr als ansprechende Ästhetik, sie ist nichts weniger als die „Wahrheit“ selbst, die auch dunkel sein kann, schmerzend, doch immer tief empfunden. Im Dialog mit Noltze spürt Pressler diesem wahrhaftigen Kern seines Musikerlebens konzentriert nach und vergleicht seine Arbeit am Klavier mit jener des Goldwäschers, der unermüdlich den Dreck beiseite spült, bis das kostbare Gut frei liegt. „Du musst suchen; du musst graben; du musst empfinden“, sagt Pressler, bei dem diese unentwegte Verfeinerung der Sinne zu einem Maximum an Empfindsamkeit geführt hat.
Holger Noltze, der als liebevoller wie kundiger Verehrer des Weisen am Klavier auftritt, zieht den intensiven Austausch dem kritischen Interviewstil vor und lockt mit seinen starken, mitunter sehr persönlichen Fragen mindestens ebenso starke Antworten.
„Es geht um das Schöne in der Welt“, sagt Pressler einmal, und ohne Musik sei die Welt leer. So ist die Schönheit für ihn kein hübsches Beiwerk, sondern existentiell notwendige Ressource einer menschlichen Gemeinschaft, verbunden mit einem dringlichen Appell an die Musiker, Bildungspolitiker und Finanzgeber, sich für deren Erhalt einzusetzen – gerade angesichts von Terror und Angst.
„Wenn wir das Schöne bestärken, tun wir etwas für eine bessere Welt.“ Davon ist Pressler überzeugt und davon vermittelt dieses Buch eine eindrucksvolle Idee.