Alice Sara Ott über ihr Album mit Werken von Chopin und zeitgenössischen Komponisten und ihren Umgang mit der Tradition
AZ München / August 2021
Ihr neues Album „Echoes Of Life“ unterscheidet sich deutlich von konventionellen Klassikalben. Wie kam diese Entwicklung hin zum Konzeptalbum?
Das war ein längerer Prozess. Ich komme ja aus einer sehr traditionellen Schule. Im Studium haben wir uns vor allem mit den Stücken beschäftigt. Es ging immer nur um die Pflege der Tradition und ich bin mit vielen Regeln aufgewachsen.
Was für Regeln waren das?
Die Regeln des klassischen Konzertbetriebs. Ein Konzert hat zwei Hälften, man ordnet die Stücke des Programms chronologisch, man kleidet sich formell… Es hieß immer einfach „so macht man das“ und ich habe das total verinnerlicht und war gegenüber allem misstrauisch, was anders war. Aber ich habe nie gelernt, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, was es eigentlich bedeutet, eine Künstlerin im 21. Jahrhundert zu sein.
Haben Sie darauf mittlerweile eine Antwort gefunden?
Es ist ein sich verändernder Prozess, aber ich glaube, für mich zumindest eine Richtung gefunden zu haben. Ich denke heute ganz anders über Konzepte nach und entferne mich immer mehr von der Tradition. Nicht, was die Musik anbelangt. Da bin ich im klassischen Repertoire zuhause. Aber ich finde, wir Künstler heute haben die Aufgabe, die Musik in den Kontext unserer Zeit zu stellen. Und dazu dürfen wir uns den Möglichkeiten unserer Zeit nicht einfach verschließen. Die Leute hören ganz anders Musik als früher und man stellt sich seine Streaming Playlist heute selbst zusammen je nach Stimmung. Die Grenzen verschwimmen immer mehr und das finde ich persönlich schön.
Sie selbst haben die Grenzen erstmals bei Ihrem Album „Chopin-Project“ verschwimmen lassen.
Ja, das war eine lustige Geschichte, die ganz zufällig entstanden ist über die Begegnung mit dem isländischen Komponisten Ólafur Arnalds. Als er mich gefragt hat, ob ich Lust hätte, mit ihm ein Projekt zu machen, war ich erstmal ziemlich skeptisch und wollte fast ablehnen. Dann habe ich mir gedacht: Ach komm, im Zweifelsfall kann ich es ja immer noch später unterbrechen, jetzt schaue ich erstmal, was passiert. Im Endeffekt ist daraus das Chopin Projekt entstanden, auf dem ich nach wie vor klassisches Repertoire spiele, aber Ólafur dazwischen komponiert hat und die Grenzen dadurch verschwimmen. Das war für mich eine vollkommen neue Erfahrung.
Auf Ihrem neuen Album kombinieren Sie Chopins Préludes mit zeitgenössischen Stücken. Wie ist dieses Programm entstanden?
Die Zusammenstellung war ein langer Prozess und ein Experiment. Als ich die Stücke dann zum ersten Mal auf einer zusammengestellten Playlist komplett angehört habe, hatte ich Gänsehaut. Weil ich gemerkt habe, dass die Idee funktioniert und so deutlich wurde, wie zeitlos Musik ist. Wenn so etwas geschieht – das sind Momente, die ich liebe.
Sie widmen sich auf diesem Album verschiedenen Lebens-Momenten – warum haben Sie dafür die „Préludes“ ausgewählt?
Chopin hat mich in meinem Leben immer wieder begleitet. Seine „Préludes“ sind wahnsinnig moderne und provokative Charakterstücke, die ganz unterschiedliche emotionale Momente darstellen. Und so ist es doch auch mit dem Leben, das sich aus unterschiedlichen Momenten zusammensetzt, die alle durch uns selbst miteinander verbunden sind.
Das menschliche Leben als Mosaik aus Momenten?
Eher als ein unvorhersehbarer Weg. Ein Schritt führt zum nächsten, es gibt Hürden und Herausforderungen, von denen man anfangs noch keine Ahnung hat – Gott sei Dank. Manchmal kommt man auch vom Weg ab, dreht eine Runde im Kreis, mündet in einer Sackgasse, mal geht man langsamer, mal schneller… Da gibt es viele widersprüchliche Bilder. Das Leben ist ja oft auch paradox.
Sie erzählen in den Booklet-Texten viel Persönliches aus Ihrem eigenen Leben. Ist „Echoes Of Life“ ein autobiografisches Album?
Ich mag diesen Ausdruck nicht. Das ist mir zu eng und klingt so, als ob das schon das Ende wäre – dabei ist es ja nur eine Momentaufnahme. Ich weiß, die Texte sind sehr persönlich – es geht darin um gewisse Momente auf meinem bisherigen Weg, die ich reflektiere. Aber eigentlich handelt das Album von ganz menschlichen und normalen Erfahrungen.
Vor zwei Jahren haben Sie öffentlich gemacht, dass Sie an Multipler Sklerose erkrankt sind. Wie geht es Ihnen heute?
Ich bin seit zwei Jahren symptomfrei und hatte zum Glück keinen weiteren Schub. Ich kann damit im Moment sehr gut leben, habe ein gutes Ärzteteam und aktuell keinerlei Einschränkungen. Aber natürlich bin ich extrem empfindlich, wenn irgendeine Missempfindung auftritt. So ein extremes Erlebnis führt einem die eigene Verletzlichkeit stark vor Augen und ich habe lernen müssen, zu verstehen, welche Signale mein Körper mir sendet und darauf sofort zu reagieren.
Was bedeutet das für Ihren Alltag?
Ich achte mehr auf mich, auf meine Gesundheit und meinen Körper…versuche gut zu essen und Stress zu vermeiden. Ich spiele auch weniger Konzerte am Stück, lasse mir mehr Zeit.
Ein Titel auf dem Album heißt „Infant Rebellion“ und Sie assoziieren damit György Ligetis Musica Ricercata I. Waren Sie selbst ein rebellisches Kind?
Oh ja, meine Mutter stöhnt heute noch. Ich habe wohl sehr früh angefangen zu sprechen und das Wort „Nein“ für mich entdeckt. Und auch später in der Pubertät habe ich sehr rebelliert.
Hat das Klavierspielen dabei geholfen?
Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber ich war immerhin abgelenkt dadurch.
Das Gespräch führte Dorothea Walchshäusl.