In Deutschlands Kommunalparlamenten gibt es extrem wenig Frauen. Nicht einmal jeder zehnte Bürgermeisterposten ist mit einer Frau besetzt. Woran liegt das? Und vor allem: Was können Parteien und Kommunen vor Ort aktiv tun, um die Frauenquote zu erhöhen?
KOMMUNAL / November 2018
Es war ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Demokratie: Seit 100 Jahren dürfen Frauen wählen und können gewählt werden. Seither ist viel passiert und die Gleichberechtigung scheint längst selbstverständlich. Einerseits. Andererseits zeigen die Zahlen nach wie vor einen enormen Nachholbedarf an. So sind auf Bundesebene gerade einmal ein Drittel der Abgeordneten im Bundestag weiblich, auf Kommunalebene sieht es noch schlechter aus. Nur etwa jedes zehnte Bürgermeisteramt ist mit einer Frau besetzt und auch in den Gemeinderäten sitzen meist deutlich mehr Männer als Frauen.
Begibt man sich auf die Suche nach den Gründen für diese Schieflage und spricht man mit Frauen, die es in kommunalpolitische Führungspositionen geschafft haben, so zeigt sich ein komplexes Bild.
„Frauen wägen oft mehr ab, trauen sich weniger zu und sind tendenziell skrupulöser“, sagt Dr. Helga Lukoschat, die Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin. Im Rahmen der qualitativen Studie „Frauen führen Kommunen“ haben Lukoschat und ihre Kollegen 60 persönliche Interviews mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern geführt und spannende Ergebnisse hervorgebracht. Insbesondere die Zuschreibungen und Rollenbilder seien dabei sehr interessant gewesen, sagt Lukoschat. So würden laut den Studienergebnissen an Frauen deutlich andere Erwartungen als an Männer herangetragen und hätten Erstere freundlich, sozial und teamorientiert zu sein. Gleichzeitig müssten sich Frauen in Führungspositionen häufig erst einmal beweisen, bevor sie respektiert würden. Als weiteres Hindernis auf dem Weg nach oben wurden parteiinterne Nominierungsprozesse erkannt, das „Hans-befördert-Hänschen-Problem“, wie Lukoschat es ausdrückt. So würden Frauen seltener für aussichtsreiche Kandidaturen aufgestellt und seien oftmals eher „Verlegenheitskandidatinnen“ und „Überraschungssiegerinnen“.
Aus Sicht von Lukoschat geht es bei der Erhöhung des Frauenanteils in der Kommunalpolitik um nichts weniger als „die Basis unserer Demokratie“ und entsprechend wichtig ist es, daran zu arbeiten. Um Mädchen und Frauen zu ermutigen, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren, braucht es gute Vorbilder. Frauen wie Annika Popp zum Beispiel. Seit mittlerweile vier Jahren ist sie die erste Bürgermeisterin der Gemeinde Leupoldsgrün, getreu ihrer Überzeugung: „Das Schlimmste sind Leute, die meckern, aber nicht mit anpacken. Ich finde, man soll entweder selbst Verantwortung übernehmen oder den Mund halten“. Popp hat sich schon immer engagiert, erst in der Kirche, später in der Politik. Als sie dann schließlich gegen zwei männliche Kandidaten für das Bürgermeisteramt kandidierte, hätten sie viele unterschätzt, erzählt Popp: „Ich war eine Frau und auch noch jung“, sagt Popp und lacht – „das hat viele überfordert“. Ihr Berufsalltag als Bürgermeisterin ist ein Alltag als Frau unter vielen Männern und nicht selten wird Popp als einzige Frau fürs Foto in die Mitte geholt. „Man ist manchmal schon eine kleine Attraktion“, sagt Popp. „Aber wenn man zeigt, dass man etwas kann, dann wird man schnell respektiert. Wir Frauen müssen immer erst den Berg rauf und uns beweisen, bevor wir richtig anerkannt werden.“ Sei man dann mal oben angekommen, spiele das Geschlecht im besten Fall keine Rolle mehr.
Ähnlich sieht das auch Dr. Birgit Kreß, die 1. Bürgermeisterin der Marktgemeinde Markt Erlbach. Ihrer Erfahrung nach sind die Unterschiede im Verhalten und im Führungsstil eher Persönlichkeits- denn geschlechtsabhängig und solle im besten Falle „jeder das machen, was er gut kann – geschlechterunabhängig“. Auch Kreß war schon früh in der Gemeinde engagiert und wurde schließlich 2008 zur Bürgermeisterin gewählt. In ihrem Arbeitsalltag pflegt Kreß einen intensiven Austausch mit Frauen ebenso mit Männern und erlebt die Atmosphäre in Markt Erlbach insgesamt als „sehr progressiv“. Gleichwohl trifft auch sie immer wieder auf veraltete Rollenbilder. „Wenn ich forsch auftrete und meine Meinung kund tue, wird mir das schnell negativ ausgelegt“, sagt Kreß. Bei ihren männlichen Kollegen gelte das hingegen als ganz normal. Um diese Zuschreibungen zu ändern, bedarf es laut Kreß einer gezielten und umfassenden Nachwuchsförderung, die schon im Kindesalter beginnen müsse. So sagt Kreß: „Mädchen werden oft nicht so darauf vorbereitet, auch mal bestimmt und fordernd aufzutreten. Bescheidenheit ist eine schöne Zier, aber bringt einen im Zweifelsfall nicht weiter. Man sollte lernen, zu seiner Meinung zu stehen. Man kann nicht Everybody‘s Darling sein.“ Umso mehr ist es ihr ein Anliegen, das Amt der Bürgermeisterin in die Öffentlichkeit tragen und Mädchen und Frauen Mut machen: „Macht einfach einen Schritt und zaudert nicht zu viel!“. Ein Mittel, um Frauen hierbei zu bestärken, ist die aktive Vernetzung von Frauen in politischen Führungspositionen. So ist Birgit Kreß ebenso wie Annika Popp Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft „Frauen führen Kommunen“ des Bayerischen Gemeindetages, die 2016 gegründet wurde und in regelmäßigen Treffen gemeinsame Projekte anstößt.
Um Frauen nicht nur in der Politik, sondern auch in der Verwaltung bei ihren Schritten zu unterstützen und klare Regelungen zu schaffen, wurde in der Stadt Saarbrücken bereits 1988 der erste Frauenförderplan in Kraft gesetzt. Damals waren im Bereich der Amtsleitungen von 55 Positionen nur 2 mit Frauen besetzt, das sollte geändert werden. Mit Erfolg: Heute finden sich 35 Prozent Frauen auf dieser Leitungsebene und die Kommunalverwaltung ist ein „sehr begehrter Arbeitsort“ wie Petra Messinger, die Amtsleiterin des Personal- und Organisationsamtes berichtet. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. So sagt Messinger: „Bei der Landeshauptstadt Saarbrücken wird das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie groß geschrieben, die Arbeitszeiten sind flexibel, Teilzeit wird genehmigt, wenn dienstliche Gründe nicht entgegenstehen.“ Auch das Bürgermeisteramt ist in Saarbrücken bereits seit 14 Jahren von einer Frau besetzt. Seit 2004 regiert hier Charlotte Britz, die sich von Beginn an für die Gleichstellung von Frauen in Gesellschaft und Politik eingesetzt hat und in ihrem Amt oft erlebt hat, dass man als Frau häufig erst einmal auf den sozialen Bereich festgelegt wird. Als besonders herausfordernd bewertet Britz die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So sagt Britz: „Das ist kein Job, den man des Geldes wegen macht. Das ist ein Job aus Leidenschaft und entsprechend will man rund um die Uhr für die Bürger da sein. Dieser Job kann einen mit Haut und Haaren fressen und abends wird es fast immer lang – das macht die Kommunalpolitik mitunter unattraktiv“. Das sehen auch ihre Kolleginnen an den anderen Orten in Deutschland so. „Von fünf Abenden in der Woche vier nicht zuhause zu sein, das muss man mögen“, sagt Kreß in Markt Erlbach – andererseits werde ein Mann nie gefragt, wie er das mit seiner Familie schaffe. Was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbelangt, gibt es gleichwohl noch deutlich Verbesserungspotential. Denn auch wenn das Arbeitspensum im Bürgermeisteramt unbestritten hoch ist, ist bei der konkreten Gestaltung der Stadtratssitzungen und – arbeit viel mehr möglich, als man denkt, wie Lukoschat von der EAF betont. „Stadtratsarbeit kann deutlich attraktiver und effizienter gestaltet werden“, so Lukoschat, und es lohne sich, ebenso über Sitzungsstrukturen und –zeiten nachzudenken wie über die Einbindung von Onlinetools.
Wie eine Erhöhung des Frauenanteils langfristig gelingen kann, zeigt ein Blick auf die Stadt Ulm. Schon seit langem hat man sich hier die Erhöhung des Frauenanteils in der Kommunalpolitik auf die Fahnen geschrieben und bereits in den 50er Jahren fanden regelmäßig reine Bürgerinnenversammlungen statt, an denen bis zu 500 Frauen teilnahmen. Derzeit gibt es im Ulmer Gemeinderat einen Frauenanteil von 43 Prozent und sind politisch präsente Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Für Diana Bayer, die seit 2000 das Ulmer Frauenbüro leitet, ist das ein großer Erfolg. So sagt Bayer: „Wir haben die bestausgebildetsten Frauen überhaupt – da kann es nicht sein, dass diese nicht entsprechend vertreten sind in der Politik“. Dies zu ändern sei aber ein langwieriger Prozess und oft müsse sich auch erst das Bild von Politik in den Köpfen wandeln, bevor mehr Frauen den Schritt in die Kommunalpolitik wagen. In Ulm ist das geschehen und hat sich laut Bayer die Überzeugung durchgesetzt: „Politik kann Spaß machen und ist längst kein graues Geschäft mehr, das von Männern in Anzügen in irgendwelchen Hinterzimmern besprochen wird“. Um dies zu erreichen, hat man sich in Ulm seit langem darum bemüht, „ein breites und überparteiliches Bündnis zu schaffen für die Frauen“. So bestehen dort der Arbeitskreis sowie die gleichlautende Kampagne „Mehr Frauen in den Gemeinderat“, zudem gibt es bereits seit 1989 das Ulmer Frauenforum. Mit einer bunten Mischung aus politischen Aktionen, Projekten, Vorträgen und aktiver Netzwerkarbeit über die Parteigrenzen hinweg, sorgt das Forum dafür, dass kontinuierlich an der Erhöhung des Frauenanteils in der Politik gearbeitet wird. „Politik kann ungemein profitieren, wenn Vielfalt da ist und Männer und Frauen gleichermaßen daran teilnehmen“, sagt Bayer, insbesondere deshalb, weil sich die Lebensrealitäten von Mann und Frau in unserem Land bis heute laut Bayer stark unterscheiden. So hätten Frauen oft einen anderen Blick auf die Dinge und brächten andere Erfahrungswerte und Lebenswelten mit ein, etwa wenn es um Themen wie den ÖPNV, die Kinderbetreuungseinrichtungen in der Stadt oder die Nahversorgungslage gehe.
So zeigt sich: Es ist noch viel zu tun, bis Frauen in der Kommunalpolitik eine Selbstverständlichkeit sind; es führt aber, das ist die andere Erkenntnis, auch kein Weg daran vorbei. So sagt Bayer treffend: „Frauen sind nicht die besseren Politikerinnen, aber die Politik wird besser, wenn sie daran beteiligt sind! Am Ende profitieren davon alle.“
Dorothea Walchshäusl