Interview mit Philippe Jaroussky
crescendo / Februar 2019
Philippe Jaroussky hat sich mit seiner warmen Countertenor-Stimme ganz nach oben gesungen. Auf seinem neuen Album widmet sich der 41-jährige Künstler nun dem italienischen Frühbarock-Komponisten Francesco Cavalli und fasziniert mit einer aufregenden musikalischen Maskerade. Ein Gespräch über den kreativen Klangschöpfer, neue Formen der Männlichkeit und den Karneval in Venedig.
Sie haben das Fach des Countertenors einmal als neue Form der Männlichkeit bezeichnet. Was meinen Sie damit?
Ich glaube tatsächlich, dass der Countertenor für eine neue Form steht – oder besser gesagt für eine neue alte Form. (lacht) Die Einteilung der Stimmen in die weiblichen und die männlichen Fächer entspringt der romantischen Kategorisierung. Die Kastratenstimme stach dabei immer als besondere Art von Stimme hervor. Allerdings haben die Kastraten durchaus auch sehr starke Charaktere interpretiert. Sie hatten zwar hohe Stimmen, aber das hat nicht bedeutet, dass sie nicht auch männliche Parts übernommen hätten. Es ist sicher kein Zufall, dass nach Ende des 2. Weltkriegs auf einmal die Countertenöre wieder eine Rolle spielten. Der Krieg war so furchtbar gewesen, dass die Menschen diese starren Rollenbilder des Mannes, der in den Krieg zieht, und der Frau, die sich zuhause um die Kinder kümmert, nicht mehr wollten. Die Wiederentdeckung des Countertenors und überhaupt der hohen Stimmen in der Musik, war ein Weg zu sagen: Auch Frauen können stark sein und Männer dürfen ihre sensible Seite zeigen. Ein Mann kann weinen und eine Frau kann kämpfen.
Sie haben Ihre Stimme erst relativ spät als Ihr Instrument entdeckt. Wie hat sich das angefühlt?
Als ich begonnen habe zu singen, habe ich auf einmal eine große Freiheit gespürt. Ich musste viel weniger kämpfen als an der Geige, allerdings habe ich mich am Anfang auch regelrecht nackt gefühlt. Man kann sich schließlich nicht hinter seinem Instrument verstecken. Aber ich habe hart daran gearbeitet und eine große Erfüllung im Gesang gefunden. Dabei wollte ich nie sein und singen wie eine Frau. Der Countertenor ist einfach die Stimme, in der ich mich zuhause fühle.
Als Opernsänger taucht man immer wieder in neue Charaktere ein. Wie geht es Ihnen damit?
Wir Opernsänger sind manchmal fast ein bisschen zu sehr damit beschäftigt, ganz mit einer Rolle zu verschmelzen. (lacht). Für mich ist es das Wichtigste, die Verbindung zur Musik zu bekommen. Die Musik sollte beeinflussen, wie ich singe, und nicht umgekehrt. Wenn ich eine neue Rolle lerne, beginne ich mit der Partitur und lasse die Gefühle, die diese Musik in mir auslöst, in meine Stimme übergehen. Das ist ein sehr intuitiver Prozess und manchmal entstehen dabei spannende neue Dinge: Dann bekommt eine eigentlich sehr schnelle Arie eine gewisse Süße oder eine langsame Arie bekommt etwas sehr Dominantes.
Auf Ihrem neuen Album widmen Sie sich verschiedenen Arien und Duetten von Franceso Cavalli, außerdem sind reich instrumentierte Orchesterwerke zu hören. Wie sind Sie auf diesen Komponisten gestoßen?
Mein erster Kontakt mit Barockmusik in der Oper war Monteverdi. Kurz darauf entdeckte ich Cavallis Musik und war von Beginn an fasziniert von den vielfältigen Klangfarben, Kontrasten und Stimmungen. Dabei war auch die Zusammenarbeit mit Gabriel Garrido und Renee Jakobs ganz entscheidend für mich. Bei ihnen habe ich unglaublich viel gelernt und entdeckt, wie reich Cavallis Musik ist. Mit nur wenigen Noten schafft er wunderbare Melodien voller Charme. Die Opern von Cavalli haben großes dramatisches Potential und mit gutem Grund werden sie seit einigen Jahren an vielen Opernhäusern wieder intensiv gespielt.
Die Opern von Cavalli standen vor allem zur Karnevalszeit auf den Spielplänen in Venedig. Haben Sie den venezianischen Karneval selbst schon einmal erlebt?
Ich war oft in Venedig, aber nie während des Karnevals und ich bin mir auch nicht sicher, ob er heute noch wirklich das repräsentiert, was er einmal war. Aber ich wollte auf dem Album die Kontraste dieser Zeit zeigen. Der Karneval war einerseits ja ein Moment des Überflusses und des Luxus, gleichzeitig gab es aber auch dunkle Seiten, schließlich herrschte damals viel Krankheit, gab es heftige Epidemien wie die Pest. Umso mehr wollten die Leute das Leben im Moment genießen, weil sie nicht wussten, ob sie das nächste Jahr erleben werden. Cavallis Musik spiegelt genau das wieder. Beide Seiten, die helle und die dunkle Maske, der Reichtum, die Armut und der Tod, finden sich in seinen Opern. Dieses Ying und Yang wollte ich auf dem Album haben. Der Karneval war jene Zeit im Jahr, in der die Menschen hinter ihren Masken alle auf einer Ebene waren. Deswegen hatte er auch eine große gesellschaftliche Bedeutung. Die Reichen konnten unerkannt bleiben, die Armen waren ein bisschen weniger arm und alle feierten zusammen.
Cavalli war ein Schüler von Monteverdi. Wie eigenständig ist seine Musik?
Erst einmal kann man klar feststellen: Monteverdi hat einen Stil geschaffen und Cavalli ändert diesen Stil nicht, sondern er bleibt der Schule Monteverdis treu. Gleichzeitig hat unter Cavalli aber eine ganz entscheidende Veränderung stattgefunden: Die ersten öffentlichen Theater wurde eröffnet! Bislang war Oper nur etwas für die reichen Leute gewesen. Cavalli hat diesen Stil nun für jeden zugänglich gemacht und das ist wohl auch der Grund, warum der Humor und die Komik in seiner Musik eine so große Rolle spielen. Cavalli wollte nicht nur Könige und Fürsten porträtieren, er wollte den Alltag der Menschen zeigen und das Volk und dessen Leben repräsentieren. In seinen Opern kommen verschiedenste Charaktere vor und man kann die venezianische Gesellschaft förmlich spüren. Insofern hat Cavalli den Stil von Monteverdi erst richtig populär gemacht und seine eingängigen Melodien könnten manchmal fast die Popmusik von heute sein. Wenn man Cavallis Opern hört, staunt man, wie frei und mutig diese Stoffe sind. Bei aller Tragik sind sie immer auch voller Humor und übrigens auch sexuell sehr freizügig – an einer Stelle in einem Liebesduett geht es unmissverständlich um Sex (lacht). Das heißt, die Musik ist fast 400 Jahre alt, aber manchmal herrscht da mehr Freiheit als in unserer heutigen Zeit. Das ist unglaublich spannend. Manchmal habe ich das Gefühl, wir werden immer unfreier. Vielleicht sollten wir öfters zurück blicken und uns klar machen: wir sollten viel freier und mutiger sein, uns weniger beschweren und beklagen. Das könnte eine Lehre von Cavalli sein.
Das Gespräch führte Dorothea Walchshäusl.